79 Tage zwischen Hoffen und Bangen

Gestern Abend habe ich etwas gesucht und bin auf ein Foto von damals gestoßen, welches mich an diese schlimme Zeit zurückerinnern ließ. Als mein Stiefvater bist und warst du mir nie egal. Im Gegenteil!

Durch einen Zufallsbefund bei einer Routinekontrolle hat man bei dir den aggressiven Speiseröhrenkrebs festgestellt.

Meine wahren Gefühle vor deiner schweren OP ließ ich mir nicht zu sehr anmerken. Bewusst, denn ich wollte dich aufbauen, dass alles ein gutes Ende finden wird. Du bist verständlicherweise mit gemischten Gefühlen ins Krankenhaus gefahren. Mutti und ich haben dich begleitet. Irgendjemand musste ja dein Fahrzeug wieder nach Hause bringen. Mutti war übernervös. „Du musst positiv denken! Es wird sicher wieder alles gut, du wirst schon sehen“, sagte ich zu ihm.

Niemand konnte ahnen, welche schlimmen und langen Wochen vor dir standen. Die OP verlief routinemäßig gut. Mutti und ich sind jedes Wochenende gemeinsam mit den Öffis oder mit meinem Auto zu dir ins Krankenhaus gefahren, um dich zu besuchen. Sie fuhr dazwischen auch nach Wien.

Ich erinnerte mich an einen speziellen Sonntag. Du hast sehr schlimm ausgesehen. Mit schweren und müden Worten hast du zu uns gesprochen. Das Fieber stieg und du hast zu fantasieren begonnen. Ich habe verzweifelt eine Krankenschwester gesucht. Das war ein schwieriges Unterfangen, denn überall wurden sie gebraucht und es war Sonntag. Mutti war mit den Nerven am Ende. Nachdem ich endlich jemanden fand, lief ich zurück und setzte mich zu dir, hielt deine Hand und sprach mit zuversichtlichen Worten, dass alles wieder gut wird. Endlich kam eine Schwester. Es sah um dich sehr schlecht aus. Denn dann passierte das, wovor sich jeder fürchtet. Du bekamst eine Sepsis. Auf die ersten Antibiotika hast du leider nicht angesprochen. Du musstest auf die Intensivstation. Das Bangen um dich ging weiter. Mit Morphium wurden deine Schmerzen gelindert. Dieses Medikament veränderte jedoch dein Wesen intensiv. Du hast stark abgenommen. Nur mehr Haut und Knochen. Deine Augen wurden noch mehr in die Augenhöhlen gedrückt. Es war ein furchtbarer Anblick. Auch hast du fantasiert und unschöne Dinge gesagt. Das waren die Nebenwirkungen von Morphium. Wochenlang haben wir um dich gebangt. Man hat dir fast die komplette Speiseröhre entfernen müssen. Wie lebt man nur damit weiter? Endlich hast du auf ein Antibiotikum angesprochen. In kleinen Schritten ging es endlich aufwärts. Wie sehr hat Mutti darunter gelitten. Ihre große Liebe so zu sehen. Nach vielen Wochen ungeplantem Krankenhausaufenthalt konntest du endlich endlassen werden. Doch das Leiden durch die verkürzte Speiseröhre fing erst an. Du hattest Schluckprobleme. Eine große und einschneidende Lebensumstellung. Deine Psyche musste mal mit der Tatsache umgehen, dass du ab sofort nur mehr Minimengen an Essen und Getränken zu dir nehmen konntest. Es war noch ein schwieriger Weg. Doch das Wichtigste: du hast diesen Krebs besiegt! 

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